„Kabila wird großen Einfluss behalten“

Kongo nach der Wahl
Zum ersten Mal hat in der Demokratischen Republik Kongo ein Oppositionskandidat die Präsidentschaftswahl gewonnen. Doch die Wahl war offensichtlich gefälscht und der neue Präsident des Kongos muss mit den Seilschaften seines Vorgängers regieren, sagt der Menschenrechtler Dismas Kitenge.

Offiziell hat Felix Tshisekedi die jüngste Präsidentschaftswahl gewonnen. Mehrere Organisationen, darunter die katholische Bischofskonferenz, sagen, dieses Ergebnis sei gefälscht. Wie kann man das wissen?
Die Präsidentschaftswahlen und auch die gleichzeitigen Parlamentswahlen waren weder transparent noch glaubwürdig. Die Groupe Lotus hat am 30. Dezember rund 200 Beobachter aus der Zivilgesellschaft im Nordosten des Kongo eingesetzt. In vielen Wahllokalen wurden am 31. Dezember die örtlichen Ergebnisse ausgehängt, die haben wir notiert. Sie wurden dann in regionalen Zentren zusammengeführt, aber entgegen den Vorschriften wurden dort erstens die Resultate nicht ausgehängt und zweitens die Protokolle nicht Zeugen aus verschiedenen Parteien zur Abzeichnung vorgelegt. Drittens hat die Zentrale Wahlkommission CENI bereits erste Ergebnisse vorgelegt, bevor die Addition der lokalen Ergebnisse in den regionalen Zentren beendet war. Viertens wurden sowohl Beobachter als auch Zeugen aus vielen Wahllokalen und regionalen Zentren geworfen. In Teilen der beiden Kivu-Provinzen haben Bewaffnete, die auf Seiten des scheidenden Staatspräsidenten Joseph Kabila stehen, sogar Menschen gezwungen, für den Kandidaten der Regierungspartei zu stimmen, Stimmzettel in die Urnen gestopft oder die Mitarbeiter der staatlichen Wahlkommission CENI vor die Tür gesetzt. Fünftens hat die CENI das Ergebnis nicht nach Wahllokalen aufgeschlüsselt veröffentlicht; deshalb kann man nicht prüfen, ob die Berechnung mit den lokalen Ergebnissen übereinstimmt.

Die Bischofskonferenz, die rund 40.000 Beobachter eingesetzt hat, behauptet, sie kenne das wahre Ergebnis: Martin Fayulu, der zweite Bewerber der Opposition, habe rund 60 Prozent der Stimmen erhalten. Stimmt das mit Ihren Beobachtungen überein?
Ja. Wo wir Beobachter hatten, hat Martin Fayulu mit sehr großem Vorsprung gewonnen. An zweiter Stelle kam in unserer Region nicht Felix Tshisekedi, sondern der Kandidat der Regierungspartei. Deshalb ist die Bevölkerung Kinsanganis auf die Straße gegangen, nachdem die CENI in der Nacht des 10. Januar Tshisekedi zum Sieger erklärt hatte. Die Polizei hat diese Proteste unterdrückt.  

Warum hat Joseph Kabila den Sieg des Oppositionellen Tshisekedi dem von Fayulu vorgezogen?
Ich vermute, das hat mehrere Gründe. Fayulu ist ein entschlossener Mann und will im Sinne des Volkes regieren. Und er wurde von zwei einflussreichen Politikern unterstützt, die selbst nicht kandidieren durften: Moise Katumbi und Jean-Pierre Bemba. Kabila betrachtet beide als seine Feinde. Katumbi gehörte bis 2015 der Partei von Kabila an und hat sie verlassen. Und Bemba hat Kabila 2006 einen verbissenen Kampf um den Wahlsieg geliefert. Beide haben ihre Anhänger aufgerufen, Fayulu zu unterstützen, und dessen Wahlkampf mit finanziert. Kabila fürchtet, dass Bemba und Katumbi mit ihm abrechnen würden, wenn sie unter einem Präsidenten Fayulu in die Regierung kämen.   

Fürchtet Kabila auch um das Firmenimperium seiner Familie? 
Sicher. Kabila und seine Familie besitzen zahlreiche Güter und Firmen im Kongo und einiges davon ist unrechtmäßig erworben. Wenn Fayulu Präsident würde, müsste Kabila befürchten, dass bestimmte Mitglieder seiner Familie wegen politischer Verbrechen und Wirtschaftsverbrechen angeklagt und einige Güter eingezogen würden.

Felix Tshisekedi kennt die Zweifel am Wahlausgang. Hat er sich mit Kabila verständigt, um Präsident zu werden?
Ja, das ist klar. Tshisekedi hatte vor der Wahl vergeblich versucht, anstelle Fayulus der Kandidat des harten Kerns der Opposition zu werden. Im Wahlkampf hat er dann gesehen, dass Fayulu viel mehr Unterstützung mobilisierte. Als Kabilas Kandidat die Wahl verloren hatte und Tshisekedi zweiter geworden war, hat er sich wohl gesagt: Besser, ich verhandle mit Kabila. Am 10. Januar, dem Tag, an dem die CENI ihn zum Sieger erklärte, hat Tshisekedi gesagt, Kabila könne im Land bleiben, niemand werde ihn verfolgen. Damit hat er garantiert, dass weder Kabilas Person noch sein Besitz angetastet würden. Als Gegenleistung kann er nun Präsident werden. Bei seiner Amtseinführung hat er nicht zufällig Kabila gedankt und von Versöhnung gesprochen, aber nicht von Gerechtigkeit.  

Wie viel Spielraum und Macht hat Tshisekedi nun?
Sehr wenig. Kabila wird großen Einfluss behalten. Das Parteienbündnis Kabilas hat in den Parlamentswahlen die absolute Mehrheit der Sitze gewonnen und wird deshalb wohl den Ministerpräsidenten stellen. Kabila hat auch jüngst neue Generäle für die Armee und die Polizei ernannt und dafür gesorgt, dass diese sowie die Geheimdienste von seinen Getreuen geführt werden. Die Sicherheitsorgane stehen also im Grunde noch unter Kabilas Kontrolle. Das gleiche gilt für die Außenpolitik, denn Kabila hat die Mehrheit der Botschafter im diplomatischen Dienst berufen. Selbst das Verfassungsgericht besteht aus Mitgliedern, die Kabila ernannt hat. Tshisekedi hat kaum Möglichkeiten, Posten in diesen Staatsorganen neu zu besetzen. Dafür bräuchte er die Zustimmung des ganzen Kabinetts und zum Teil auch des Parlaments sowie der Militärkommission, wo Parteigänger von Kabila den Ton angeben. Tshisekedi wird sehr große Probleme haben, tatsächlich zu regieren.  

Ist in der Parlamentswahl der Sieg von Kabilas Partei sauber zustande gekommen oder war auch dieses Ergebnis manipuliert? 
Auch die Ergebnisse der Parlamentswahlen sind intransparent und unglaubwürdig. Die Resultate in den Wahllokalen, die von Beobachtern notiert wurden, und das offizielle Endergebnis laufen zu stark auseinander. Es ist nach meinem Eindruck möglich, dass Kabilas Partei tatsächlich eine einfache Mehrheit im Parlament gewonnen hat. Aber dass offiziell im nationalen Parlament und in den regionalen Parlamenten fast drei Viertel aller Abgeordneten aus dem Parteienbündnis Kabilas kommen – dieses Ergebnis ist fabriziert.

Kann der neue Präsident trotzdem Verbesserungen bewirken? 
Er muss zunächst Unabhängigkeit von der Familie Kabila gewinnen. Dazu sollte seine Partei wichtige Ministerien in der Regierung besetzen wie das Innen-, Außen-, das Verteidigungs- und das Finanzministerium. Dann erwarten wir von ihm Reformen in der Armee, der Polizei und den Geheimdiensten. Wichtig ist auch der Kampf gegen die Straflosigkeit. Tshisekedis Regierung muss dafür sorgen, dass die Justiz unabhängig wird und die Verantwortlichen für politische und wirtschaftliche Verbrechen zur Rechenschaft zieht.

Was sind die größten Probleme in den Sicherheitskräften?
Sie brauchen eine bessere Ausbildung, klare Kriterien für Beförderungen und mehr Mittel. Schwerer als Geldmangel wiegen aber die Korruption und die Unterschlagung von Mitteln aus dem Etat. Außerdem hat man viele Soldaten, Polizisten und Geheimdienstler eingestellt, die nicht die Anforderungen erfüllen, weil sie zu bestimmten Parteien oder einflussreichen Familien gehören. Diesen Klientelismus muss man ebenso abstellen wie die Korruption.

Wie soll Tshisekedi das alles erreichen, wenn er kaum Macht hat und wichtige Staatsorgane nicht kontrolliert?
Die gegenwärtige Phase sollte man erst als Übergang zur Demokratie betrachten. In fünf Jahren müssen echte freie Wahlen organisiert und die Mängel der jüngsten repariert werden. Dazu sind Reformen nötig. Zum Beispiel muss die Wahlkommission, die vielen als Instrument der Regierung gilt, zu einem Organ werden, das neutral das Recht hochhält. Die staatlichen Medien müssen endlich alle politischen Strömungen gleich behandeln und allen Zugang geben. Es stimmt: Der neue Präsident hat angesichts der Umstände, unter denen er ins Amt gekommen ist, keine freie Hand. Er wird auf jeden Fall Zeit brauchen, um sich Unabhängigkeit von Kabila und mehr Spielraum zu verschaffen.  

Muss die Regierung dazu unter Druck gesetzt werden? 
Ja. Das Volk weiter mit Demonstrationen, Petitionen und konkreten Forderungen Druck ausüben – auf die Regierung, in der viele Minister aus Kabilas Partei sitzen werden, auf das Parlament und auf die Justiz. Und die internationalen Partner des Kongo – insbesondere die Europäische Union und die Vereinten Nationen – müssen weiterhin darüber zu wachen, dass eine echte Demokratie entsteht und die Regierung die Menschenrechte achtet.

Sie sollten also mit der neuen Regierung zusammenarbeiten?
Sie sollten den politischen Dialog mit der neuen Regierung fortführen, um Druck für die Öffnung des politischen Systems zu machen. Das heißt in der Zusammenarbeit mit dem Kongo müssen die internationalen Partner der Festigung der Demokratie Priorität geben. Sie müssen auf Reformen in der Politik und im Sicherheitssektor und auf soziale Programme drängen. Wenn Druck aus der Bevölkerung, Druck aus dem Ausland und wachsende politische Unabhängigkeit des Präsidenten zusammenwirken, dann sind Fortschritte möglich.  

Das Gespräch führte Bernd Ludermann.

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erschienen in Ausgabe 3 / 2019: Rassismus
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